Es gibt Tage da muss man aus dem Alltag ausbrechen und tun, was niemand erwartet.Kurzentschlossen buche ich einen Flug, von jetzt auf gleich.
Das Ziel
Ich besuche einen Sammler in Bosnien. Zum einen bin ich bei ihm immer willkommen, und zum anderen fühle ich mich gut aufgehoben und ernst genommen und nicht bemuttert und bettüdelt
Außerdem bin ich dort vogelfrei, auf mich allein gestellt und in einer sehr, sehr ruppigen und rauen Gegend. Hier ist alles ursprünglich und primitiv. Es ist in etwa so, wie im Spanien der 1960 Jahre. Es ist wie eine Kindheitstraum der noch nicht korrumpiert wurde. Der Tourismus wird strengstens in Grenzen gehalten, und das ist gut so. Fast ist die Stimmung wie in einer Diktatur die nie begonnen und nie aufgehört hat. Die Leute sind ärmer als im Westen. Aber sie sind wesentlich wacher und vernünftiger. Fast kann man sie ernst nehmen, weil sie denken, dass sie von der Politik verschaukelt werden. Aber nur fast. Der Stille Diplomat denkt anders.
Die Reise
Am 29 Oktober fahre ich per Zug schnell nach Frankfurt zum Flughafen. Das klingt alles einfach, ist es aber nicht. Am Bahnhof angekommen merke ich dass ich eine teure Papierschere im Gepäck habe, rase nach Hause, lege die Schere in die Werkstatt, rase zurück zum Bahnhof und erreiche meinen Zug, der nur 7 Minuten Verspätung hat.
Im Bordrestaurant esse ich eine Gulasch Suppe mit Brot, trinke ein Bier und einen Kaffee. Der Gulasch tut gut. Es ist seltsam lecker im Bordrestaurant. Man wundert sich dass die Bahn das kann. Wieder Erwarten unterhalte ich mich mit anderen Gästen, die mal nicht auf ihr Handy schauen und lieber mit anderen Fahrgästen reden. Wir reden über lapidare Dinge. Das ist entspannt.
Die Fahrt verläuft Fluss aufwärts rechts vom Rhein. Die Landschaft ist inspirierend, das Licht ist goldig, herbstlich sanft. Der Zug ist nicht voll, das Personal überaus aufmerksam und der Reisende glücklich. Außerdem kommen wir sehr pünktlich am Flughafen an. Eine perfekte Fahrt.
Am Flughafen
Ich komme am Flughafen Bahnhof an, und bin sofort in der Ankunftshalle. Dann gehe ich zum Schalter, hole mir mein Ticket ab, und gehe zur Personenkontrolle. Ich habe mir bis dahin nicht meinen Sitzplatz angesehen. Dann aber nimmt die Security meine Aktentasche unter die Lupe, und der Mitarbeiter ist alles andere als locker drauf. In meiner Aktentasche ist etwas dass wie Sprengstoff aussieht: eine Schachtel mit Visitenkarten wird auf Sprengstoff kontrolliert. Kein Wunder! Mir wurde ja ein netter Sitzplatz zugeordnet, mir der Nummer 23 F.
23F
Diese Nummer ist historisch bedeutungsvoll. Der 23 F ist der Tag des Putschversuches 1981 in Madrid, von dem Kommandant Tejero. Das ist alles ein lustiger Zufall, wie immer. Die Sprengstoffkontrolle ist ebenso ein lustiger Zufall. Da ich öfters am Telefon über Pepe Figueres Ferrer spreche, dem Präsidenten von Costa Rica versuche ich es mal mit seinen wichtigen Tagen. Sein Aufstand datiert vom 12. März 1948. Meine Sitznummer wäre also die 12M und nicht 23F. Da Figueres Ferrer am 1 Mai offiziell im Bürgerkrieg siegte wäre der Sitz 1M auch noch geeignet. Aber eine Reihe M gibt’s bei Flugzeugen nicht! Oh wie schade!
Ich begebe mich zum Gate A22, arbeite im Netz an meiner Veranstaltung.
Ich mache eine kurze Pause, gehe zur Toilette und stelle fest, das mein Gate geändert wurde. Auf meinem Flugticket steht eindeutig Gate A22.
Das neue Gate ist das Gate A34.
Da heißt es schnell rennen. Das neue Gate ist viel weiter weg als gedacht. Ich erwische den Flieger noch.
Einmal dort angekommen geht der Spuk weiter. Drei Polizisten gehen an mir laut lachend vorbei. Und ich werde angeschmunzelt. OK! So be it! Wir steigen ein, der Flug verläuft normal und ich sitze ganz allein. Entspannung! Aber der 23F ist mir ein Dorn im Auge.
Der Flug
Auf dem Flug nach Dubrovnik beginnt das Abenteuer mit einem künstlerischen Moment. Deswegen, weil ich einen klaren Himmel habe, kann ich die Strukturen von Städten, von der Luft aus aufnehmen. und diese Bilder bringen mich auf viele Gedanken, die ich noch nicht bewusst formulieren kann. Es sind Intuitionen.
Nun bin ich am Ziel angekommen, wir essen kurz etwas und gehen schlafen. Es ist spät in der Nacht. Am nächsten morgen wache ich auf und dann erwartet mich folgendes Panorama. Man sieht wie die Sonne morgens früh durch einen Dunst hindurch scheint.
Über dem Meer muss es feucht sein.
Das Gemälde
Ab dem 30 Oktober nehme ich mir eine Woche Zeit zwischen der Ausstellung im Bahnhof in Leipzig und der Ausstellung „Geisterstädte und Geister“ im Dan Gerbo Museum in Mulhouse, Frankreich, zum Malen. Ich ergänze ab dem 30 Oktober mit einer zweiten Farbschicht und mit UV Lack eines meiner farbenfrohen Gemälde.
Das Gemälde wurde 2018 begonnen, mit einer Zeichnung. Im Jahr 2021 habe ich die erste Schicht Farben aufgetragen. Und im Jahr 2024 trage ich die zweite Schicht Farbe auf, sowie den Schutzlack.
Der erste Arbeitstag
Morgens suchen wir mein Material (Tinten Acrylfarben, Stifte, Pinsel, etc), das bereits seit Wochen auf meine Ankunft wartet. Wir finden es, packen es aus, stellen fest das alles gut ist und richten den ersten Arbeitsplatz ein.
Der erste Tag beginnt im Garten, unter der Pergola, in der Sonne. Ich habe endlos viel Platz, alle Freiheit der Welt und ordne meine Farben und Pinsel und lege los.
Da ich auch entspannen kann und die Sonne knallt, nütze ich die Gelegenheit für eine Abkühlung. Das Wasser ist bei 26 Grad und im Infinity Pool sehr angenehm.
Das Malen als solches gleicht dem Joga. Einerseits ist es Entspannung pur. Andererseits ist es grausam an dem Ort zu malen, weil der Boden aus weißem Kalkstein besteht, der sehr teuer versiegelt wurde.
Zen sein
Ich darf nicht einen Fehler machen, weil die Möglichkeit besteht, dass Tinte auf den Boden fällt und irreparable Schäden anrichtet. Als ich das Bild geliefert habe, dachte ich nicht an die Möglichkeit, dass so ein Problem auftreten kann. Das Problem ist also nicht ganz irrelevant. Und das zwingt mich zu 100% konzentriert und angespannt zu arbeiten. Denn, wir hätten eine Folie auslegen können, was aber bei dem Wind, mehr ein Problem als eine Lösung ist. Außerdem will ich Zen sein.
Der Ort an dem ich male intensiviert das Gefühl der Entspannung. Es ist wie ein Retreat. Und genau diesen Umstand nutze ich um Zen zu bleiben. Jede einzelne Geste wird bedacht. Nicht ein Klecks darf auf den Boden.
Ich male als erstes die grünen Flächen und trage eine dicke Schicht Tusche auf. Da es so warm ist verdampft das Wasser. Alles scheint in bester Ordnung zu sein.
Abends um 16:00 Uhr gehen wir ins benachbarte Restaurant, etwas essen. Der Sonnenuntergang ist in der Region bereits um 16:30 und es macht keinen Sinn weiter zu arbeiten. Jetzt sollen die Farben trocknen.
Eine Überraschung: der Taupunkt
Ich lasse das Bild draußen liegen, damit die Tusche trocknet und gedenke es nach der Rückkehr vom Restaurant in den Trockenraum zu bringen. Das war eine Fehleinschätzung. Abends ab 16:00 kühlt die Luft extrem ab und es bildet sich Tau auf den frisch gemalten Flächen des Bildes. während das restliche Bild trocken bleibt. Da es zunächst stockdunkel ist, merke ich das nicht, hebe das Bild an und die Tinte fließt an ein Paar kleinen Stellen, da wo sie nicht hinfließen soll. Das war eine echte Überraschung. Daher gedenke ich es ab dem zweiten Tag anders anzugehen. Das Bild landet Abends im Trockenraum.
Tag 2
Ich richte den zweiten Arbeitsplatz ein. Der Raum ist trocken, gut belichtet und ebenso gut belüftet. Hier kann ich unabhängig von Wind und Wetter malen. Perfekt.
Im Trockenraum habe ich Morgens gutes Tageslicht, das von vorne kommt, so dass ich z.B. beim lackieren genau sehen kann, wo der Lack auf der Tusche aufliegt. Auch gibt es in dem Raum so viel künstliches Licht, dass ich auch spät Abends noch malen kann.
Am zweiten Tag Male ich weiter die grünen Flächen. Dazu liegt das Blatt selbst auf Styroporplatten, so flach wie möglich. Da die Tinte sehr flüssig ist belaste ich das Blatt mit Gewichten um die Flüssigkeit auf die eine oder andere Seite zu intensivieren (Verdicken). Das Styropor gibt genau soviel nach wie nötig ist um leichte Bewegungen der Flüssigkeit zu ermöglichen. Es geht um maximal Zehntel Millimeter.
Auf dem Blatt sieht man noch dass alle Blautöne fehlen, das helle Grün fast gelb ist, das Orange ist fleckig, die Figuren sind farblos, etc.
Abends habe ich dann endlich die ersten blauen Töne im Bild:
Tag 3
Der 1. November 2024 beginnt wieder um 8:00 Morgens mit intensivem Malen. Aber es ist der erste November, also Allerheiligen. Deswegen muss ich heute an meine am 14 März verstorbene Mutter denken. Und ich muss irgendwann eine Pause machen. Ich gehe in die Berge spazieren. Es ist an der Zeit mal etwas anderes zu erleben, sich auszutoben, damit der Zen Effekt weiter funktioniert. Die Berge in dieser Landschaft sind etwas besonderes. Die ganzen Waldbrände haben die Landschaft weitestgehend zerstört. Oftmals sieht man nur noch den nackten Fels.
Details aus der Landschaft erinnern mich so sehr an das Katalonien meiner Kindheit, der Duft der Pflanzen ist so intensiv, die Tiere, weitestgehend Kühe, die man unterwegs findet verstecken sich unter hohen Büschen von der Sonne, das ist alles etwas das mich stark mit meiner Kindheit verbindet.
Was auch meiner Heimat ähnelt ist die Nähe von Berg und Meer. Wir sind es gewohnt permanent große Höhenunterschiede zu überwinden. Berge bringen uns zum Lachen.
Danach male ich wieder bis 22:00 Uhr. Nun sind fast alle blauen Töne mindestens einmal im Bild.
Tag 4
Der 2. November 2024 beginnt mit Malen, wie jeder andere. Ich male ununterbrochen bis 16:00. Dann gehen wir mit Freunden essen.
Fazit
Und ja, es ist eine Flucht aus dem Harem. Es ist eine Flucht aus der Enge des Serail. Deutschland ist das Harem, oder Serail. Man fragt sich nur, wer ist der Mufti der darüber herrscht.
Ab und zu ist Entspannung angesagt.